Montag, 23. Mai 2011

Die paradoxe Intervention: wenn sich psychologische Erkenntnisse und Samurai-Weisheit ergänzen

Wie bekommt man den Esel in den Stall? Oder wie bekommt man ihn den Berg hoch? Jeder, der schon einmal vor diesem oder einem ähnlichen Problem stand, der weiß, daß das gar nicht so einfach ist. Auch Hühner einzufangen, um sie dem Kochtopf näher zu bringen, oder Schüler zu Hausaufgaben oder Kinder zu Haushaltstätigkeiten zu "motivieren" ist eine große Herausforderung. Denn motivieren kann man von "außen" gar nicht, wenn der betreffende Schüler (oder Esel, was ja oft aufs gleiche hinausläuft) den Sinn nicht sieht. 


In einer befreundeten Familie war einer der Söhne auf folgendem trip: er wollte nur noch Nudeln essen. Bei Kartoffeln, Reis, Pizza, Hirse, Quinoia oder anderen "Sättigungsbeilagen" murrte und bockte er; es kam erschwerend hinzu, daß jener Sohn gerade in der Pubertät war, 12 Jahre alt. Seine beiden Geschwister, 15 und 10 Jahre alt, waren recht genervt und konnten weder seine ständigen Diskussion weiter ertragen, noch wollten sie andauernd Nudeln essen. Der Familienvater, ein systemisch ausgebildeter Pädagoge und Psychologe, ging den Gordischen Knoten nach Abstimmung mit der Mutter, einer erfolgreichen Führungskraft im Vertrieb mit viel Erfahrung im Umgang mit störrischen Mitarbeitern, folgendermaßen an: 

 Jener Knabe bekam eine sogenannte Nudel-Schock-Therapie verordnet. Es gab für ihn morgens, mittags und abends zum Essen immer nur noch Nudeln. Egal welche Sorte, von Spaghetti über Farfalle bis hin zu Maccharoni oder Fusili konnte er alles haben. Vier Wochen lang. Nudeln mit Nutella, Nudeln mit Marmelade oder Hackfleischsoße, völlig egal. Nudeln. Nur Nudeln. Auch als Zwischenmahlzeit: Nudeln. Ein Apfel mit Nudeln, Milchschnitte mit Nudeln, Vanille-Joghurt mit Nudeln, Kartoffel-Chips oder Salzstangen mit Nudeln.... Der Rest der Familie aß Pizza, Kartoffelauflauf mit Gartengemüse und Putenbrust, drei- oder viergängige Menüs, der Delinquent durfte mitessen, nachdem er seine Portion Nudeln aufgegessen hatte. - Der Vater wußte, daß dieser Knabe das niemals vier Wochen lang durchhalten würde. Nach einer Woche schon gab es lange Zähne und Gemaule, ob man den "Vertrag" nicht ändern könne. Nein, vier Wochen waren ausgemacht. - Um es abzukürzen: der Knabe ist nach den vier Wochen 'runter vom Nudel-Fieber. Er ißt heute alles und freut sich sogar über Kartoffelbrei. Er ist wieder "geerdet". 


Die paradoxe Intervention tut das Unerwartete, statt nur die Energie zu erhöhen bei stockendem Verfahren; weil eben "immer mehr vom gleichen" oft nicht hilft, wird man den Esel weder in den Stall ziehen noch ihn schieben. Man wird ihn allenfalls in die entgegengesetzte Richtung ziehen...

Lassen wir den Schüler, das Kind und den Esel, kommen wir zu dem, der sich seine Daseinsberechtigung selbstbeklickt im Internet verschafft. Per spam und per Google-ranking, mit dem ihn seine "Hackerinnen & Hacker" - die in Wahrheit identisch mit ihm selber sind, also seine multiplen Persönlichkeiten - nach vorne auf Seite eins pushen. Ähnlichkeiten mit realen Personen sind übrigens rein zufällig, aber manchmal einfach nicht vermeidbar. Was macht man mit einem dauerarbeitslosen Nichtsnutz, der spammt und trollt? Was macht man mit einem stalker, der möglicherweise geistig verwirrt, psychisch krank und außerdem auch noch mediengeil und zudem verlogen ist? Sich wehren? Klar, aber wie? Gleiches mit Gleichem vergelten stabilisiert nur das System, außerdem läßt man sich dabei auf sein Niveau herab. Man kann es klüger anfangen... - man gibt ihm einfach das, was er will und braucht: Aufmerksamkeit.

Die paradoxe Intervention sagt:  
Gib ihm das, worauf er so geil ist. 
Aber gib ihm soviel davon, daß er sich daran verschluckt.

In Verbindung mit der alten Samurai-Weisheit 

"Wenn Du sie nicht überzeugen kannst, dann verwirr sie" 

bedeutet das, daß ich alles dafür tue, meine Lieblings-Trolle so bekannt wie möglich zu machen. Sie bekommen soviel Aufmerksamkeit, daß sie nicht mehr wissen, wo oben und unten ist. Oder daß sie nicht mehr den Unterschied zwischen Männlein und Weiblein kennen.

Übrigens: wenn ich manchmal Troll-Beiträge lese oder den Namen meiner Lieblings-Trolle höre, entwickelt sich bei mir in etwa folgende Spontanreaktion:  


YouTube Video

_______________________________________________________
Mit freundlicher Genehmigung von Dr. Chaim Levinson, Strasbourg 
 
Erstveröffentlichung unter CC-Lizenz bei onlinezeitung 24:
Wissenschaft: Sonstiges

Die paradoxe Intervention (I)
Wenn sich psychologische Erkenntnisse und Samurai-Weisheit ergänzen

21.08.2009 12:11:51 eingesandt von Chaim für OnlineZeitung 24.de
http://www.onlinezeitung24.de/article/2078

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen